Tendenzen

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Lobbyismus in Deutschland

Grundlegende Tendenzen

Politische Tendenzen

  • Die Legislative nimmt in der Bedeutung für den politischen Prozess immer stärker ab, deswegen ist das Ziel von Lobbyisten nicht mehr das Parlament, sondern eher Exekutive und die Ministerialbürokratie.

Tendenzen in den Medien

  • Durch den Umzug von Bonn nach Berlin hat auch die mediale Aufmerksamkeit zugenommen, was einerseits dazu führt, dass die Medien immer schneller agieren und die Politiker immer schneller reagieren müssen. Für Recherchearbeit sowohl in der Politik als auch in den Medien bleibt dadurch immer weniger Zeit.
  • In diese Lücke springen Lobbyisten, aber auch immer verstärkter die Public-Affairs-Agenturen, die zeitnah und professionell Medien und Politik mit Hintergrundinformationen versorgen.
  • Die nationalen Interessensverbände verlieren dadurch an Stärke, da sie durch die Interessenheterogenität innerhalb ihres Verbands die Einzelinteressen so gut vertreten können, wie die Unternehmen durch direkte Repräsentanz dies können.
  • Die Medien können durch die Abhängigkeit von Anzeigenkunden und in ihrer Abhängigkeit von Informationen aus erster Hand nur wenig gegen diese Tendenzen tun.

Tendenzen im Lobbyismus

  • Durch den Umzug von Bonn nach Berlin war es für viele Verbände, die ihren Sitz im Ruhrgebiet oder im Rhein-Main-Gebiet hatten, in Berlin eigene Repräsentanzen aufzubauen.
  • Dadurch, dass einige Ministerien allerdings noch in Bonn ihren Sitz haben, standen viele Interessensvertreter Mitte der 1990er vor der Wahl, ihre Verbandsstrukturen neu zu orientieren und die zuständigen Büros personell aufzuwerten.
  • Diese Neuorientierung, in Zusammenhang mit starken Interessenshomogenitäten in den großen Verbänden (insbesondere den Unternehmensverbänden) führte dazu, dass neben den Verbänden sich auch Einzelinteressen in Berlin organisierten.
  • Insbesondere für die Unternehmensverbände führte dies zu einer Erosion ihrer Macht.
  • Die Lobbyismus-Szene ist dadurch unübersichtlicher geworden, neben den Verbänden treten zunehmend auch Unternehmen, Kampagnenplattformen, Agenturen und private Initiativen als Lobbyisten auf.

Strukturen

Zahlen

  • In der Lobbyliste des Deutschen Bundestags sind ca. 1800 Interessensverbände eingetragen, die an Ausschüssen im Bundestag teilnehmen können.

Beteiligungsformen

  • Im Grundgesetz ist im Artikel 9 die Vereinigungsfreiheit garantiert.
  • In der Bundestagsgeschäftsordnung §70 die Teilnahme von Verbandsvertretern an Ausschuss-Sitzungen erlaubt
  • Zahlreiche Spitzenverbände sind aber auch über Beiräten und Kommissionen der Bundesregierung unmittelbar an Regierungsentscheidungen beteiligt.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Akteure

  • Als Akteure kann man unterscheiden:
    • NGOs und gemeinnützige Verbände
    • Halb-Staatliche Organisationen
      • Sozialverbände
      • Schülervertretungen
      • Kirchen
    • Vereine mit gewerblichem Charakter, wie die Verbraucherzentralen
    • Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen
    • Politische Verbände
    • Wissenschaftliche Institute
    • Kampagnenplattformen
    • Unternehmen und Unternehmensverbände
    • Verbände von Berufsgruppen
    • Public-Affairs-Agenturen
    • Staatliche Akteure
      • Sowohl NGOs (wie beispielsweise Greenpeace), Kampagnenplattformen (wie beispielsweise die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, die von den Metallarbeitgeberverbänden finanziert wird), Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Dienstleistungsvereine wie der ADAC oder die Sozialverbände, die Verbraucherzentralen oder die Vertretungen der Bundesländer in Berlin kann man als Lobbyisten bezeichnen, Sie wirken auf politische Prozesse ein und organisieren diese Einflussnahme in Politikfeldnetzwerken.
  • NGOs, Vereine und Verbände bieten ihren Mitgliedern zusätzlich zur Wahrnehmung ihrer politischen Interessen in der Öffentlichkeit auch noch die verschiedensten Dienstleistungen an: der ADAC beispielsweise Abschleppservice, die Sozialverbände Sozialberatung, die Verbraucherzentralen Konsumentenberatung.
  • Den meisten NGOs und Vereine und insbesondere den Kampagnenplattformen und politischen Initiativen geht es darum, eine kritische Öffentlichkeit zu mobilisieren, einen politischen Stimmungswechsel herbeizuführen oder das Verhalten der Bürger und Wähler zu beeinflussen. Unternehmenslobbyisten, Public-Affairs-Agenturen, Staatliche Akteure, Verbände von Berufsgruppen und Wissenschaftlichen Institutionen geht es oft eher um den Einfluss auf ein konkretes legislatives Projekt.
  • Auch in der Wahl der Möglichkeiten gibt es Unterschiede: die Tarifpartner und die Bundesländer haben im Rahmen der Gesetzgebung und der Ausgestaltung von Rahmenregeln festgesetzte Mitwirkungsmöglichkeiten und können auf diese zugreifen, wenn es darum geht, politischen Einfluss zu organisieren. Die meisten anderen Lobbyisten haben diese Möglichkeiten nicht.

Internationale Perspektiven

Internationalisierung

Grundlegende Entwicklungen

Wer ist der übernationale Ansprechpartner von Daimler-Chrysler, Vodaphone-Mannesmann oder Aventis? Weltbank, IWF oder WTO? Vielleicht demnächst einmal die UNO? Ulrich von Alemann

  • Die sogenannte „Globalisierung“ verändert natürlich auch die Lobbyismus-Strategien von Verbänden und Unternehmen.
  • Die Internationalisierung der Unternehmensstrukturen, Bildung von multi-nationalen Unternehmensverbünden, Kapitalflüsse und Investitionsstrategien orientieren sich stärker an globalen Rahmendaten, Unternehmen und Verbände müssen also ihre Lobbykampagnen im globalen Rahmen einbetten
  • Durch vereinfachte Kommunikationsmittel entstehen neue Kommunikationswege, Phänomene einer globalen Kultur und globale Medien – Lobbykampagnen müssen diese Tendenzen berücksichtigen, insbesondere wenn es um die Reaktionen auf Lobbykampagnen geht
  • In verschiedenen Politikfeldern (Klimapolitik, Handelspolitik) bestimmen zunehmend internationale Politik-Regime den Handlungsrahmen der Unternehmen und Verbände. Diese internationalen Vereinbarungen sind zwar durch die Nationalstaaten initiiert und werden durch sie umgesetzt, allerdings verringern sie gleichzeitig den Handlungsspielraum der Nationalstaaten und machen daher frühzeitiges Lobbying unabdingbar.
  • Internationale Netzwerke von NGOs treten stärker als Akteur in Erscheinung, insbesondere als Lobbyisten für bestimmte politische Zwecke (auch wenn der Vergleich sicherlich nicht ganz korrekt ist, könnte man selbst Terrorismusnetzwerke als NGO-Lobby-Netzwerke mit sehr ungewöhnlichen Maßnahmen auffassen).
  • Massen-Konferenzen im Rahmen des UN-Rahmens und Projekte wie der Global Compact versuchen, sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Wirtschaftswelt stärker einzubinden und sind daher unmittelbare Bühne für Lobbyisten.
  • Als Folgen der Globalisierung oder als Reaktion auf transnationale Tendenzen treten ethnische Konflikte und kultureller, militärischer oder wirtschaftlicher Nationalismus stärker hervor – und schränken die Möglichkeiten transnationaler Lobbykampagnen ein.

Lobbystrukturen in Washington

  • Als Sitz vieler globaler Institutionen (IMF, Weltbank) und als Sitz der amerikanischen Regierung ist Washington auch Ziel von Lobbyisten, die dort einerseits Einfluss auf die amerikanische Politik und den amerikanischen Markt haben wollen, andererseits auch auf die internationale Politik Einfluss nehmen wollen.
  • Lobbyismus wird in Washington wesentlich neutraler gesehen, wirtschaftliche und gesellschaftlich-politische Bürgerbewegungen nennen sich selber „lobby-organizations“
  • Die Branche hat sich in den letzten Jahren zunehmend professionalisiert: neben der Präsenz großer Organisationen und Gewerkschaften treten zunehmend Repräsentanzen großer Unternehmen, professionelle Anwaltskanzleien und Lobby-Agenturen auf.
  • Abgeordnete und Senatoren agieren als Lobbyist des eigenen Wahlkreises insbesondere der Unternehmen in dessen Wahlkreis aufgrund der Finanzierung von teuren US-Wahlkämpfen mittels Political Action Committees (PACs)

Europäisierung

Grundlegende Entwicklungen

  • Kontinuierlich werden transnationale, europäische Institutionen geschaffen, die zwar die Mitarbeit der Nationalstaaten erlauben, aber den Gestaltungsspielraum dennoch einengen – die nationalen Verbände, NGOs und Unternehmen müssen darauf reagieren, indem sie an den Standpunkten dieser Institutionen Repräsentanz weisen.
  • Europa als einer der drei großen Wirtschaftsräume der Welt (USA, EU, Japan) hat den größten Binnenmarkt der Welt, mit der gemeinsamen Währung Euro einer der stärksten Währungen der Welt, aber auch eine enorm hohen Regulierungsdichte. Insbesondere in den Politikfeldern Agrar- und Außenhandelspolitik ist die Regelungsdichte sehr hoch, aber auch in anderen Politikbereichen wächst die Regelungsdichte.
  • Für europäische als auch ausländische Unternehmen bedeutet dies, dass eine Präsenz auf dem europäischen Markt nur dann möglich ist, wenn sie sich diesen Regulierungen unterordnen. Allerdings haben diese Regulierungen oft auch Vorbildcharakter für andere Märkte.
  • Ungefähr 80 Prozent der im Bundestag verabschiedeten Gesetze haben einen europäischen Ursprung, d.h. es ist für deutsche Verbände und Unternehmen wichtig, auch in Brüssel möglichst frühzeitig über Gesetzesinitiativen Bescheid zu wissen.
  • Die Öffentlichkeit ist in den Mitgliedsstaaten eher national-staatlich organisiert, insbesondere die Medien berichten eher über politische Entwicklungen in den Hauptstädten als in Brüssel. Dies bedeutet, dass unpopuläre Politikprojekte eher über die Brüsseler Bühne durchgesetzt werden können als über die der Hauptstädte – für Lobbyisten bedeutet dies, dass die Mitwirkung an Gesetzesinitiativen passieren kann, ohne dass die mediale Öffentlichkeit dies unmittelbar registriert.

Lobby-Strukturen in Brüssel

  • In Brüssel entstand seit den 1970er Jahren ein dichtmaschiges Netzwerk an Interessenorganisationen
  • Die ersten Lobbyisten waren amerikanische Verbände und Unternehmen, die keine Möglichkeit hatten, über die nationalen Regierungen auf die EU-Politik und der Gestaltung des Binnenmarkts Einfluss zu nehmen.
  • Anfang der 90er Jahr wurden über 3.000 Interessensvertretungen in Brüssel vermutet, darunter über 500 internationale und europäische (Dach-) Verbände, 200 Einzelunternehmen und 100 Beratungsfirmen, die nach US-Muster professionelles Lobbying anbieten, im European Public Affairs Dictionary von 1995 werden sogar über 6.500 Interessenvertretungen geschätzt.
  • 15.000 Lobbyisten arbeiten derzeit in Brüssel, aber es gibt keine vollständige Registrierung bei den EU-Institutionen
  • Die einflussreichsten Dachverbände sind die Industrie- und Arbeitgeberverbände UNICE, die Bauernverbände COPA, für den Handel EUROCOMMERCE und für die Gewerkschaften der EGB, allerdings nimmt deren Bedeutung angesichts der Einzelvertretungen von Unternehmen und nationalen Verbänden ab.
  • Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU wurde konzipiert als Forum von Verbänden und Politik, ist aber relativ machtlos.
  • Die wichtigste Aufgabe von Lobbyismus ist in Brüssel die Erstellung und Weitergabe von Informationen, da die Verbände und Unternehmen oft einen erheblichen Informationsvorsprung vor den Brüsseler Beamten haben.

Vergleich der Zahlen

  • Während man in Berlin von ca. 3.000 Lobbyisten spricht, so wird für Brüssel der Wert von 15.000 Lobbyisten und für Washington oft 35.000 Lobbyisten angenommen.
  • Diese Zahlen sind für Berlin und Brüssel geschätzt, weil es keine eindeutige Erfassung der Lobbyisten gibt.
  • In Berlin könnte noch die Liste der im Bundestag eingetragen Verbandsvertreter, welche Zugang zum Bundestag haben und an Ausschuss-Sitzungen teilnehmen können, herangezogen werden: dort sind ca. 1800 Lobbyisten eingetragen, allerdings werden teilweise auch 4000 Lobbyisten angegeben.
  • Da Brüssel für Lobbyisten aus allen EU-Mitgliedsstaaten und aus dem Ausland wichtig ist, ist ein Vergleich der Zahlen alleine ist nicht unbedingt sinnvoll. Interessanter wäre eher, wieviele deutsche Unternehmen eine Vertretung in Berlin, Brüssel oder Washington haben, abgesehen von Schätzungen sind solche Zahlen aber nicht erhältlich.
  • Der Wert von 15.000 Lobbyisten in Brüssel wird in zahlreichen Quellen angegeben, andere Quellen wiederum sprechen von 2000-3000 Büros mit 50.000 Mitarbeitern, andere sprechen von 50.000 Büros mit ca. 200.000 Mitarbeitern.