Schülervertretungen

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Besonderheiten der Schülervertretungen

  • Schnelle Generationenwechsel: die Interessensvertreter sind meist nicht länger als drei Jahre in ihren Ämtern, die meisten Schülervertreter sogar weitaus weniger
  • Steiler Aufstieg: diejenigen Interessensvertreter, die über längere Zeit dabei bleiben, gelingt in den meisten Fällen ein rasanter Aufstieg von der lokalen Ebene zur regionalen, landes-, bundes- oder europaweiten Ebene
  • Geringes Konfliktpotential: Bildung ist das Lobby-Anti-Thema schlechthin, da
    • Sehr komplexe Interessenslandschaft (Lehrer, Eltern, Ministerien, Wirtschaft)
    • Erfolg von Lobbyarbeit zahlt sich nicht unmittelbar aus, sondern oft erst nach mehreren Jahrzehnten
    • Schüler sind keine Wähler
    • Schüler sind oft nicht finanzstark
  • Hoher (potentieller) Mobilisierungsgrad:
    • wenn mit den richtigen Themen agiert wird, dann kann die Schülerschaft enorm schnell mobilisiert werden
    • wenn die falschen Themen gewählt werden, sind Schüler extrem schwer zu mobilisieren
  • Halb-Staatlichkeit: Interessensvertretung der Schüler ist zwar politisch gewollt, aber oft nicht politisch gewünscht
    • Lokal: Schülervertretungen sind fester Bestandteil der Schule und in den meisten Schulgesetzen gibt es Verpflichtungen, Schülervertretungen einzurichten und einzubeziehen, dennoch findet der Dialog in den seltensten Fällen auf Augenhöhe statt.
    • Regional: Auf regionaler Ebene sind in zahlreichen Kreisen, Städten und Bezirken Schülerräte eingerichtet, allerdings haben diese Gremien oft nur ungenügende finanzielle Ausstattung und kein echtes Mitspracherecht in den kommunalpolitischen Gremien der Bildungspolitik
    • Landesweit: in fast allen Bundesländern gibt es gesetzlich verankerte und mit einem Etat ausgestattete Landesschülervertretungen, allerdings sind die Kommunikationsstrukturen zwischen diesen und anderen Akteuren in der Landesbildungspolitik sehr unterschiedlich
    • Bundesweit: trotz starker Koordinierung der Bundesländer in der KMK ist die Koordinierung von Schülervertretungen auf Bundesebene oft von offizieller Stelle nicht gefördert, sondern oft sogar behindert worden.
    • Europaweit: trotz massiver Förderung des europaweiten Austauschs von Schülern und der zunehmenden Zusammenwachsen in Europa sind die Schüler als wichtige Lobby-Organisation in Brüssel noch nicht in Erscheinung getreten
  • Experten oder Amateure: während andere Interessensgruppen sich trotz umstrittenen Positionen als Experten in ihrem Politikfeld etablieren konnten, sind Schülervertretungen noch nicht als Bildungs-Experten anerkannt
    • Da die Schüler als unmittelbar Betroffene dazu neigen, die bildungspolitischen Debatten lediglich aus ihrer Sichtweise zu sehen, gelingt es ihnen oft nicht, gemeinsame Interessen mit anderen bildungspolitischen Akteuren zu finden.
    • Obwohl im Bezug auf das Lernumfeld von Schülervertretungen sehr konkrete und sehr sinnvolle Reformvorschläge entwickelt worden sind, werde diese zu selten umgesetzt oder erprobt.
    • Obwohl die Gewerkschaften die Schülervertretungen für ihre Vorfeldarbeit gerne instrumentalisieren, gibt es keine institutionalisierte Zusammenarbeit, geschweige denn einen Austausch zwischen Gewerkschaften und Schülervertretungen

Geschichte der Interessensvertretungen in Deutschland

Frühformen

  • Vor dem ersten Weltkrieg waren Schüler nicht in Interessensvertretungen organisiert
    • In den Schulklassen gab es zwar schon Klassensprecher, aber diese hatten in erster Linie Disziplinarfunktionen für den Lehrkörper zu übernehmen
    • Von allen politischen Strömungen, von den Kirchen, von den Gewerkschaften und von anderen gesellschaftlichen Gruppen wurden Schülergruppen organisiert, um politisch zu mobilisieren und um neue Mitglieder zu erreichen.
  • Zwischen den Weltkriegen gab es eine zunehmende politische Instrumentalisierung der Schülergruppen (allgemein von allen Jugendorganisationen), die dann in die politische Gleichschaltung aller Jugend- und Schülerorganisationen in die mit dem Nationalsozialismus assoziierten Schüler- und Jugendstrukturen

Etablierung

  • Nach dem zweiten Weltkrieg wurde durch die westlichen Alliierten versucht, die Schülervertretung als Teil einer demokratischen Kultur in den Schulen zu etablieren
    • Da die national-sozialistischen Jugendverbände ein system-stabilisierender Faktor im Dritten Reich waren und durch die Schulen die national-sozialistische Ideologie große Verbreitung fand, waren die Alliierten daran interessiert, dass die Schulen demokratischer orientiert waren.
    • An den meisten Schulen wurden in den 50er Jahren Schülervertretungen per Gesetz eingerichtet, es gab allerdings keine über die lokale Ebene hinausgehenden Strukturen.
    • In der Deutschen Demokratischen Republik wurden relativ schnell einheitliche Schüler- und Jugendstrukturen geschaffen, die fest in die politische Kommunikation und Mobilisierung eingebunden waren.
    • Die Pionierorganisationen für Schüler und junge Erwachsene waren staatlich gelenkt und enthielten wenig selbstbestimmende Elemente, hatten aber von Anfang enorme finanzielle Ressourcen für die politische Arbeit.

Politisierung

  • Die gesellschaftlichen Umbrüche der 1968er machten natürlich auch vor den Schulen nicht halt und eine starke Politisierung der SVen fand statt.
    • Zahlreiche regionale Kreis- und Stadtschülerräte wurden in Westdeutschland gegründet.
    • Mitte der 1970er werden die ersten landesweiten Schülervertretungen gegründet.
    • In Ostdeutschland wurden die gesellschaftlichen Konflikte außerhalb der Jugendstrukturen ausgetragen, Jugendclubs und kirchliche Gruppen geben Raum für systemkritische Diskussionen.
  • Ab den 80er Jahre werden die Versuche, die LandesschülerInnenvertretungen auf Bundesebene zu koordinieren konkreter, insbesondere in der Auseinandersetzung mit der SPD-FDP-Regierung von Helmut Schmidt als auch in der CDU-FDP-Regierung von Helmut Kohl.
    • Als Kohl 1983 das Schüler-Bafög abschafft, gibt es die ersten koordinierten bundesweiten Maßnahmen der Schülervertretungen.
    • Die Gründung der BSV (auch BuSV für BundesSchülerInnenvertretung,) ist allerdings noch stark durch die linken parteinahen Jugendorganisationen geprägt, die Vorstandssitze werden oft im Proporz vergeben.
    • Die zweite Hälfte der 80er Jahre ist geprägt durch eine starke Einmischung in Politikbereiche, die nicht unmittelbar mit Bildungspolitik zu tun hat, zunehmende Auseinandersetzung um das allgemeinpolitische Mandat.
  • Durch den Fall der Mauer ab 1990 standen die westlichen LSVen auf einmal Schülervertretungen aus den neuen Ländern gegenüber, die vollkommen anders politisch sozialisiert waren .
    • Die meisten östlichen LSVen waren nicht entstanden aus gesellschaftlichem Druck von unten, sondern weil die östlichen Bundesländer die Schulgesetzte der West-Bundesländer unmittelbar kopierten
    • Die Berührungsängste zwischen West- und Ost-LSVen spielen bis heute eine Rolle, wenngleich sie auch abgenommen haben und bei allen Jugendorganisationen in der einen oder anderen Form auftraten.
    • Die Jugendorganisation, die es als erstes schaffte, die verschieden Sozialisationen zusammen zu fassen, waren, die JungdemokratInnen/Junge Linke, die aufgrund dieser Erfahrung und großer personeller Übereinstimmung auch in den Schülervertretungen zunehmend starken Einfluss übten.
    • Die Jugendorganisationen hatten seit den 80er Jahren die Schülervertretungen im Westen politisch sozialisiert und als Rekrutierungsplattformen genutzt – allerdings bauten die parteinahen Jugendorganisationen relativ schnell eigene Netzwerke.
    • Die ersten gemeinsamen Bundesdelegiertenkonferenzen nach der Vereinigung waren geprägt von den Auseinandersetzungen der Jugendverbände, die dann im Verbandsstreit Mitte der 1990er Jahre kulminierten, die dazu führten, dass die bundesweite Zusammenarbeit weitestgehend erlahmte.

Professionalisierung

  • Ab dem Ende der 1990er bzw. Anfang 2000 gab es wiederum stetige Versuche der Koordinierung und eine damit verbundene erfolgreiche Neugründung der BundesschülerInnenvertretung
    • Die BundesschülerInnenvertretung schaffte es damals fast alle Länder an einen Tisch zu bringen und gleichzeitig als politischer Akteur aufzutreten.
    • Über vier Jahre hinweg wurden Bundesdelegiertenkonferenz mit demokratischer Legitimation durch die LSVen durchgeführt und sogar ein bundesweiter SchülerInnenkongress (Buschkong) durchgeführt
    • Die erfolgreiche bundesweite Koordination und die Besetzung von relevanten Themen trug auch enorme Früchte in der Öffentlichkeitsarbeit mit zahlreichen Presse- und Fernsehbeiträge.
    • Die vier Jahre BundesschülerInnenvertretungen zeigte, dass bundesweite bildungspolitische Lobbyarbeit von Schülervertretungen großen Erfolg haben kann.
    • Allerdings zeigte sich auch, dass die Strukturen nicht dauerhaft angelegt waren, da private Dispute zwischen den Aktiven ab 2003 dazu führten, dass die notwendige integrative Arbeit nicht mehr geleistet wurden.
    • Vorgeschobene Kritikpunkte waren in erster Linie die Quotierung von Delegierten nach Männern und Frauen, die Forderung nach dem allgemeinpolitischen Mandat und die Abstimmungsmechanismen (einfache Mehrheit oder Konsensprinzip).
    • Mit der Neugründung der Bundesschülerkonferenz wurde erhofft, dass man einerseits durch die Kultusministerkonferenz Fördergelder bekommt, andererseits bildungspolitisch eine stärkere Rolle spielt, beides ist aber bisher nicht eingetreten.
    • Die fehlende politische Bildungsarbeit wurde durch verschiedene neue Formen der Interessensvertretung ergänzt, zum Beispiel durch den Arbeitskreis Bildung der Servicestelle Jugendbeteiligung bzw. der Gründung des SV-Bildungswerks .
    • Dennoch fehlt es bisher an einer Struktur, die sowohl die Interessensvertretung, die Öffentlichkeitsarbeit als auch die verbandsinterne Integration voranbringen könnte.

Europäische und Internationale Schülervertretung

Geschichte

  • Die Schülervertretungen in Europa hatten sich seit dem Ende des ersten Weltkriegs regional bzw. über die Ländergrenzen koordiniert, allerdings bis in die 1970er Jahre hinein ohne dazugehörige Dachstruktur.
  • Durch die zunehmende europäische Integration in Westeuropa und der stärkeren Koordination der Studentenverbände wurde auch die Forderung nach einer stärkeren Koordination der Schülerorganisationen lauter.
  • 1974 wurde der Dachverband der europäischen Schülervertretungen gegründet: OBESSU - Organizing Bureau of European School Students Union – zuerst als reines Koordinationsbüro der Schülervertretungen geplant.
  • Die Zusammenarbeit der westeuropäischen Schülervertretungen in den 1980ern wurde immer wieder stark von einzelnen Ländern beeinflusst und getragen, wobei dies aber in erster Linie von einzelnen Personen abhing als von generellen Tendenzen.
  • Durch den Zusammenbruch des Warschauer Pakts bestand nach 1990 die Herausforderung, die sich neu bildenden Schülerorganisationen in Osteuropa zu integrieren, deren politische Sozialisation sich aber zum Teil erheblich von denen in Westeuropa unterschied.
  • Gleichzeitig war es notwendig, OBESSU von einem Koordinationsbüro zu einem Lobbyisten für Schülerbelange umzubauen, welches auch durch den Umzug der Geschäftsstelle von Amsterdam nach Brüssel im Jahr 2003 dokumentiert wurde.
  • Trotz dessen, dass aus den Reihen von OBESSU schon zahlreiche Nachwuchs- und Spitzenpolitiker in Brüssel agieren, steht OBESSU aber dennoch vor der Aufgabe, als Akteur in der europäischen Bildungspolitik wahrgenommen zu werden.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

  • Mitgliedsverbände von OBESSU sind landesweit organisierte Interessensvertretungen von Schüler- und Schülerinnen, wobei die Strukturen, Ressourcen und politischen Zielsetzungen sehr unterschiedlich sind.
  • Strukturen: gemeinsam haben alle Interessensvertretung, dass sie demokratisch aufgebaut sind, d.h. ihre Legitimation von der lokalen oder regionalen Ebene beziehen.
    • Unterschiedlich ist allerdings die Frage, ob zum Beispiel Schüler als Einzelpersonen, Schülervereine, regionale Gremien oder Schülervertretungen an den Schulen die Mitglieder der Interessensvertretung darstellen.
    • Unterschiedlich ist auch, ob es in einem Land für alle Schülervertretungen eine Organisationen für alle Schularten gibt oder ob es für jede Schulart (Berufsschüler, Gymnasiasten) verschiedene Schülerorganisationen existieren.
  • Anspruch: die meisten europäischen Schülervertretungen haben keinen Allgemeinheitsanspruch, d.h. sie vertreten anders als die deutschen Schülervertretungen explizit die Interessen ihrer Mitglieder und nicht der gesamten Schülerschaft.
    • Insbesondere die politisch sehr stark nach links neigenden Schülervertretungen in Italien (UDS ) und Spanien (CANAE) haben sich trotz ihrer Monopolstellung als Interessensvertretung immer als politische Organisation begriffen, die insbesondere die Interessen einer bestimmten Gruppe von Schülern vertritt.
    • Auch die politisch sehr einflussreichen Schülerorganisationen in Skandinavien haben sich entsprechend der eher korporatistischen Tradition in diesen Ländern zwar als Interessensvertretung mit deutlichem Gewicht, aber ohne Allgemeinheitsanspruch verstanden.
  • Mandat: ebenfalls große Unterschiede und Auseinandersetzungen gibt es in der Frage, zu welchen Themen die Schülervertretungen Stellung nehmen dürfen.
    • Während skandinavische Schülerorganisationen in den meisten Fällen sich ausschließlich auf schulpolitische Fragestellungen konzentrieren, sind südeuropäische Schülervertretungen eher der Auffassung, dass bildungspolitische und gesellschaftspolitische Fragestellungen nicht zu trennen sind.
    • In den meisten Fällen ist die Debatte des Mandats eine, die im Zweifelsfall pragmatisch gelöst wird, so z.B. haben viele nordische Schülervertretungen zum Beispiel wenn es um Migration und Integration oder auch um Entwicklungshilfe geht, deutlich politisch Stellung bezogen oder eigene Organisationen gegründet, die sich diesen Themen annehmen (z.B. Operation Tageswerk).
  • Arbeitsweise: obwohl die politischen Systeme in Europa im Grunde genommen alle demokratisch und pluralistisch orientiert sind, gibt es dennoch enorme Unterschiede in der Arbeitsweise der Schülervertretungen.
    • Die nordischen Interessensvertretungen sind eher konsens-orientiert, d.h. sie legen den Schwerpunkt ihrer Interessensvertretung auf die Mitwirkung in staatlichen Gremien, Bildungskommissionen und Entwicklung von neuen Schulformen.
    • Die südeuropäischen Interessensvertretungen sind eher konfliktorientiert, d.h. sie orientieren sich in ihrer Arbeit darauf, gesellschaftliche Probleme zu thematisieren und die Schüler für diese Probleme zu mobilisieren als auch durch Politisierung und Mobilisierung der Schüler mittels Demonstrationen und Protestaktionen politische Kritik auszuüben.
    • Schülervertretungen in Frankreich, Schweiz, Belgien und Holland waren eher gremienorientiert, wenngleich sie auch in Ausnahmesituationen sehr schnell große Schülermassen organisieren können.
    • Osteuropäische Schülervertretungen sind eher regierungsnah, d.h. verstehen sich als Vermittler von Regierungspolitik und Schülerinteressen, sie lehnen offenen Konflikt mit Regierungsgremien ab, durch ihre prägende Rolle innerhalb der Demokratisierung der Gesellschaft und als politische Nachwuchsorganisationen können sie sicherlich dennoch sehr viel Einfluss ausüben.